Der Tod und das Duell

Jeder kennt das seltsame Gefühl, wenn man einen Rivalen hat. Die Nebensitzerin in der Schule, die immer bessere Noten schreibt. Der Freund, der eigentlich ein Feind ist, weil er immer mit dem Mädchen zusammen ist, mit dem man selber zusammen sein will. Auch wenn wir es nicht wollen, so prägen Wettbewerbe, häufig Duelle, unseren Alltag. Der Wissenschaftler in der Sportkommunikation sieht dies als ein Motiv an, warum die Menschen am Sport interessiert sind. An Personalisierungen, Konfrontationen, Grenzüberschreitungen. Weil jeder das Gefühl des Duells aus seinem Leben kennt. Zur Erklärung der Wirkung des Sports greifen Wissenschaftler auf das Konstrukt des Dramas zurück. Denn: Sport bietet alles, was ein gutes Drama im aristotelischen Sinne auszeichnet. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, Charaktere, die Geschichten erzählen, die über sich hinausweisen sowie Stoffe, die geradezu idealtypisch von menschlichen Erfahrungen wie Grenzen und deren Überwindung, Sieg und Niederlage, Glück und Unglück, Fairness oder Regelüberschreitung, Freundschaft und Feindschaft, gar Gewissheit und Ungewissheit erzählen. Die Geschichte des Duells von Niki Lauda und seinem britischen Kontrahenten James Hunt liefert genau dafür das Musterbeispiel. Hier: Der analytisch-technisch denkende und agierende Österreicher Lauda, der ohne Skandale in der Öffentlichkeit als blitzsauberer und blitzgescheiter Mann kühl und reserviert seine Runden dreht. Auf der anderen Seite James Hunt. Ein charismatischer Hippie, Lebemensch und Playboy, der zeitlebens öffentlich damit prahlte, mit wie vielen Stewardessen von British Airways er in der vergangenen Woche geschlafen hat. Heute wäre sein Verhalten undenkbar – vor 40 Jahren feierte ihn die Öffentlichkeit und vor allem die britischen Boulevardmedien für sein präpotentes Gehabe. Laut Eigenaussage und Zeugenbeobachtungen musste sich Hunt vor jedem Rennen übergeben. Weil die Reste des Alkohols, des Nikotins und der weiteren Drogen in seinem Körper ständig Karussell fuhren. Aus Sicht von Hunt der Cocktail, der einen guten Rennfahrer ausmacht. Er war ein groß und schön gewordenes Crash-Kid mit einem dicken Alkoholproblem und keiner Angst am Steuer. Fahrerrivale „Striezel“ Stuck beobachtete, dass er mindestens zehn bis 15 Dosen Bier am Tag trank. Vor oder nach dem Rennen war ihm dabei egal. Und immer mit der Gewissheit, im nächsten Rennen sterben zu können. Denn an Fahrersicherheit dachte in jener Zeit niemand in der Formel Eins. Die Gewissheit, dass der Tod nehmen einem sitzt gehörte einfach dazu und wurde tatsächlich auch noch vermarktet. Und Hunt entwickelte dieses permanente Tanzen am Abgrund zu einem öffentlichen Lebensstil.

Doch der analytisch-ingenieurswissenschaftliche Österreicher mit dem Hang zur Fahrzeugtechnik und dem sauberen Image war ihm im sportlichen Wettbewerb 1976 einen Tick voraus.  Zwar ist ihm zu Saisonbeginn ein Traktor (Tatsächlich!) auf seine Brust gefallen. Aber Favorit Lauda ließ sich von den zahlreichen Rippenbrüchen nicht schocken und fuhr in seinem Ferrari trotzdem zahlreiche Siege ein. Doch Rivale Hunt riskierte alles und lieferte ihm im Verlauf der Saison einen knallharten Kampf.  Es kommt zum Showdown. Die grüne Hölle. Das Rennen am Nürburgring mit seiner bei Fahrern berüchtigten Nordschleife. Vor dem Rennen treffen sich die Fahrer und diskutieren miteinander, ob man jetzt nicht endgültig mal anfangen sollte, dem Spiel mit dem eigenen Tod etwas entgegenzusetzen und solange nicht in die Sicherheit investiert wird, keine Rennen mehr zu fahren. Zumindest nicht den Wahnsinn in der ansonsten doch so beschaulichen Eifel. Lauda vertritt diese Position. Hunt verhöhnt ihn dafür. Er sei ein Feigling, der nur seinen Punktevorsprung ins Ziel retten will um erneut Weltmeister zu werden.

Hunt lanciert das Gespräch an die Öffentlichkeit. Der britische Boulevard schäumt über den „Feigling“ Lauda. Der Analyst Lauda hat längst berechnet, dass die Strecke am Nürburgring zu schnell geworden ist für die zerbrechlichen Formel-1-Boliden. Er hatte mit rationalen Argumenten gegen diese Rennstrecke gekämpft – in der Eifel empfangen ihn die Menschen dafür mit „Lauda, Du Feigling“-Plakaten. Ein Fan bittet ihn vor dem Start um ein Autogramm mit Datum: „Es könnte ja Ihr letztes sein.“ Ihn nervt die Rolle, in die er gedrängt wird. Er ein Feigling? Niemals. Er fährt. Wider besseren Wissens.

In der zweiten Runde passiert die Katastrophe. Sein Ferrari 312 T2 hat ein Defekt und bricht bei Tempo 300 hinten aus. Das Fahrzeug schleudert in die Fangzäune, ein Pfosten reißt Lauda den Helm vom Kopf. Er wird von einem weiteren Fahrer mit Wucht gerammt und der Ferrari brennt lichterloh. Er sitzt in seinem brennenden Cockpit bei einer Hitze von 800 Grad ohne Sauerstoff. Dabei entstehen ätzende Dämpfe, die er einatmet. 55 Sekunden lang. Da zieht ihn sein zweiter Intimfeind im Klassement, Arturo Merzario, aus dem brennenden Inferno. Der Italiener gehörte zu den Fahrern, die ihn vor dem Rennen ebenfalls dafür verhöhnten, dass er auf die bestehenden Sicherheitsrisiken hinwies.

Lauda wird mit lebensgefährlichen Verbrennungen und einer verätzten Lunge zuerst nach Ludwigshafen und dann nach Mannheim in die Intensivstation der Uniklinik geflogen. Es sieht ganz schlecht aus. Die Ärzte kämpfen um das Überleben. Jahre später erfährt man, dass Lauda alles wahrnahm. „Ich habe ihren Gesprächen zugehört und wusste, dass ich in keiner guten Verfassung war“, erinnert er sich Jahre nach den Geschehnissen in einem Interview mit einem österreichischen Nachrichtenmagazin. „Dann fragte mich die Schwester, ob ich die letzte Ölung erhalten will. Ich nickte – warum nicht, vielleicht hilft es.“ Doch der Priester spricht nicht – wie bei der Krankensalbung üblich -, sondern berührt bloß Laudas Körper. Er gibt ihm die letzte Ölung „Und dann haute er ab“, erinnert sich Lauda. Er fühlt sich alleingelassen und dem Tode versprochen. Das Verhalten des Priesters weckt die Lebensgeister von Kämpfer Lauda und provoziert ihn. „Ich sagte mir dann: Jetzt sterbe ich sicher nicht. Und das war gut, ich konnte aus diesem Schlamassel nur mit meinem Hirn herauskommen. Der Körper war ja im Grunde tot, aber das Hirn hat noch funktioniert. Und das Hirn hat den Körper überzeugt: Bleib wach, schlafe nicht, denn dann stirbst du. Hör genau zu, was um dich geschieht, und mach weiter!“ Er fällt ins Koma – und überlebt nach dramatischen Tagen und zahlreichen qualvollen medizinischen Eingriffen in Mannheim. Trotz seiner Jugend als Messdiener tritt er aus der katholischen Kirche aus – und 3 Jahrzehnte später wieder ein.

Im Koma liegend wäscht ihm seine Frau – sie hatten erst ein paar Monate zuvor geheiratet – immer wieder seine Beine. Wird er weiterleben? Sie schreit ihn an vor Verzweiflung. Und parallel dazu kennen die Medien tagelang kein anderes Thema. Die Bild fragt, wie ein Mensch ohne Gesicht lebt. Und während Lauda im Krankenhaus liegt siegt Hunt in den nun folgenden Rennen. Denn für ihn geht das Duell weiter. Und als Lauda aus dem Koma aufwacht und dies im Krankenhaus realisiert wird er fuchsig und entschließt sich – entgegen dem Rat aller – 42 Tage nach dem Horrorunfall zum Comeback auf dem Hochgeschwindigkeitskurs in Monza. Der Wahnsinn will nicht aufhören. Das Duell und der Wettbewerb mit dem Konkurrenten treiben ihn weiter an. Sein Umfeld ist der Panik nahe. Doch Lauda kann nicht anders.

In Folge des Unfalls hatte Lauda sehr lange ein Blackout und konnte sich nicht an die Geschehnisse des Unfalls erinnern. Die Erlebnisse rund um den Überlebenskampf nach dem Unfall beschäftigen ihn aber jahrelang. Auch er konsumiert Drogen und nach dem Zug an einem Joint hat er viele Jahre nach dem Unfall einen Flashback: „Ich beugte mich im Badezimmer über das Waschbecken, und als ich in den Abfluss schaute, kamen alle Gedanken zurück. Ich sah mich selbst leblos in ein tiefes Loch fallen und dachte: Jetzt stirbst du.“ So zitiert ihn die Neue Züricher Zeitung. Er ging einmal durch den Tod, überlebt, und stellt sich sofort wieder dem Duell.

Sein Chef Enzo Ferrari zeigt sich fassungslos und verbietet ihm, nach so kurzer Zeit ins Cockpit zurückzukehren. Der Italiener verpflichtet in der Eile sogar ein Ersatzfahrer. Alles umsonst. Begafft wie ein Gespenst und von Angstzuständen und Panikattacken geschüttelt setzt sich Lauda ins Auto – der Kopf immer noch dick bandagiert unter dem Helm. Er fährt in Monza auf Platz vier und verpasst den WM-Titel am Ende nur um einen Punkt. Sein Sehvermögen ist wegen des Unfalls auf einem Auge stark eingeschränkt. Er gibt deshalb beim Regenrennen zum Abschluss der Saison in Fuji auf und fährt an die Box: „Mein Leben ist mir wichtiger als eine Weltmeisterschaft», sagt Lauda und steigt aus seinem Auto aus. Den Titel erreicht er zu einem späteren Moment seiner Karriere nochmal. Dreimal gewann Lauda insgesamt die Formel 1.

Und sein Kontrahent Hunt? Der fiel nach dem Gewinn des Titels in ein tiefes Loch. Nach zahlreichen Affären, mentalen und finanziellen Krisen, gescheiterten Drogenentzugsprogrammen und einem Leben zwischen Wahn, Sex, Gerichtvollzieher und Würstchenbude findet er endlich sein Glück. Am 14. Juni 1993 formulierte er seiner Freundin Helen Dyson einen Heiratsantrag. „Jetzt beginnt mein Leben richtig“, sagte er an dem Tag seinen Freunden. Ein Tag später verstarb Hunt an Herzversagen im Alter von 45 Jahren.

Man sieht: Die Wirklichkeit im Sport wirkt manchmal krasser inszeniert als Hollywood es sich ausdenken kann. Klar, dass dieses Duell filmisch umgesetzt wurde. Und wie. Nach meinem Begriff ist es der beste Sportfilm, der in den vergangenen 20 Jahren ins Kino kam. Exzellent in Szene gesetzt ist das episch-archaische Duell von Oscar-Regisseur Ron Howard. „Rush – Alles für den Sieg“ heißt der Film und ich empfehle jedem SJ-Student und generell jedem Interessierten ihn zu sehen. Daniel Brühl als Niki Lauda spielt sensationell und wurde dafür damals (der Film ist schon ein paar Jährchen alt) vollkommen zurecht für einen Oscar nominiert. Anscheinend hatte Brühl so viel Ehrfurcht von der Person Lauda und der Rolle, dass er sich vor den Drehterminen mehrmals mit Lauda getroffen hatte, auch um den Wiener Dialekt so nonchalant einzusetzen wie es Lauda stets pflegte. Wem jetzt also der Tod Niki Laudas vergangenen Montag dazu motiviert, sich mit dem Motorsportler nochmal auseinanderzusetzen, dem sei der Film wärmstens ans Herz gelegt.

War Niki Lauda der beste Pilot der Motorsportgeschichte? Meine subjektive Meinung: Nein. Das war Walter Röhrl. Ebenfalls ein Verrückter, der stets am Limit agierte. Wer mehr von ihm erfahren will, der klicke doch einfach auf diesen Link zu einem Portrait auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=tP-zkvBjflM

Teilt Ihr meine Einschätzung? Schreibt mir doch mal wie ihr den Film fandet – oder welchen Stellenwert solche Personalisierungen im Sport für euch haben. Ich freu mich über eure Meinung!

Text: Prof. Dr. Marcus Bölz (boelz@fh-mittelstand.de)
Foto: Pixabay